FRAGEN AN FLORIAN EICHINGER
DIE HÄNDE MEINER MUTTER ist der letzte Teil einer filmischen Trilogie – alle drei Filme setzen sich mit den Verstrickungen von Familiengewalt auseinander. Wie kamen Sie auf diese Thematik? Weshalb haben Sie sich für eine Trilogie entschieden?
Auf die Idee, eine filmische Trilogie zu erzählen, kam ich auf der Festivaltour meines ersten Spielfilms BERGFEST. In den Gesprächen mit dem Publikum fiel mir auf, wie involviert meistens der ganze Saal zu sein schien, obwohl vermutlich nur wenige etwas Ähnliches erlebt hatten wie im Film der Sohn mit seinem Vater und Stiefvater. Mir wurde da wahrscheinlich zum ersten Mal klar, dass es von universellem Interesse ist, wie wir mit unseren inneren Wunden umgehen.
Auch wenn man das Glück hat weniger drastisch betroffen zu sein als andere, wird es immer wieder Momente geben, in denen man nahestehenden Menschen begegnet, Verwandten, Freunden, dem eigenen Partner, die wegen tiefer Verletzungen auf der einen oder anderen Ebene wie gefangen in sich sind. Was auf ganz unterschiedliche Weise auch das Leben der Menschen um sie herum überschatten kann. Wahrscheinlich kommt das in jeder Familie vor. Da ich selbst aus einer großen Patchworkfamilie stamme, konnte ich einige solcher Verstrickungen und ihre weitreichenden Folgen und Hintergründe direkt oder aus naher Distanz erleben. Genug um mehr über diese Dinge erzählen zu wollen als in einen Film passt.
Was vereint die drei Projekte und worin unterscheiden sie sich?
In allen drei Filmen sind die Protagonisten männlich, anders als in den meisten Geschichten, die von Opfern körperlicher oder psychischer Gewalt erzählen. Sie könnten ebenso gut weiblich sein, aber hier von Männern zu erzählen fand ich u.a. spannend, weil Männer sich normalerweise weniger mit ihren seelischen Belangen auseinandersetzen und die klassischen Rollenbilder es ihnen noch immer schwermachen sich einzugestehen, dass sie vielleicht selbst zu dem geworden sind, was für viele zu den schlimmsten Schimpfwörtern zählt.
In BERGFEST geht es im Kern um eine Vater-Sohn Beziehung, in NORDSTRAND steht ein Brüderpaar im Mittelpunkt und in DIE HÄNDE MEINER MUTTER liegt der Hauptkonflikt zwischen Sohn und Mutter. Aber wie oben erwähnt, ist oft auch das Umfeld involviert, meist unfreiwillig – in BERGFEST z.B. die Partnerinnen von Vater und Sohn, in NORDSTRAND die Eltern der beiden Brüder und in DIE HÄNDE MEINER MUTTER fast die ganze Familie, insbesondere die Frau des Protagonisten.
Wie haben Sie sich auf die Filme vorbereitet, steckt dahinter viel Recherchearbeit?
Der Rechercheaufwand wurde von Film zu Film größer. BERGFEST hatte noch die meisten autobiografischen Züge, da war am wenigsten Recherche nötig. NORDSTRAND war schon eine viel freiere Interpretation eigener Erlebnisse und bei DIE HÄNDE MEINER MUTTER geht es vergleichsweise wohl am wenigsten um mich selbst, wobei die innige Beziehung zu meiner Mutter sicher auch manchmal grenzüberschreitend war – allerdings nicht im körperlichen Sinne.
Bei DIE HÄNDE MEINER MUTTER habe ich deshalb in einem Zeitraum von vier Jahren u.a. mit drei konkret Involvierten und zwei Psychologen viele Tage und Stunden lang gesprochen, um ein möglichst wahrhaftiges Bild der tatsächlichen Erlebnisse und der damit verbundenen Dynamiken zu bekommen und in das Drehbuch einfließen zu lassen.
Wie kamen Sie auf die Geschichte von DIE HÄNDE MEINER MUTTER?
Bei den Recherchen zu NORDSTRAND bin ich im Internet zufällig auf einen anonymen Erfahrungsbericht gestoßen, der mich sehr fasziniert hat. Ein paar Klicks später wusste ich, dass der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs die Zahl der Frauen unter den Tätern auf immerhin 10-20% beziffert, bei angeblich enorm hoher Dunkelziffer. Meine erste Reaktion war: Warum hab ich davon noch nie gehört?
Auch die meisten Leute aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis waren irritiert und manchmal kam die Gegenfrage: „Wie soll das überhaupt gehen?“ Dass es oft auf ganz andere Art geschieht als man vielleicht denken würde und was das mit sich bringen kann, hat mich gereizt zu ergründen. Gerade in einer Zeit, in der sich stark vereinfachende, stereotype Rollenbilder eher wieder zu verfestigen scheinen und selbst die früher einheitlichen Überraschungseier auch eine rosa Mädchenversion anbieten.
FRAGEN AN ANDREAS DÖHLER
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER spielen Sie Hauptfigur Markus. Wie würden Sie Markus beschreiben?
Ich würde ‚Markus’ nicht gerne beschreiben. Die Figur entsteht im Kopf des Zuschauers. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen und zu erfahren, wie unterschiedlich Charaktere im Film oder im Theater vom Zuschauer wahrgenommen werden und die Zuschauer ihre ganz eigene Interpretation von dem Gesehenen haben.
Was hat Sie an der Rolle besonders gereizt?
Zum einen natürlich, dass es die Hauptrolle war und die vielen Situationen, in die die Figur in der Geschichte gerät, zum anderen die Frage, wie Erlebnisse in der Kindheit Auswirkungen auf das Erwachsenenalter haben. Da kommt man ja auch privat nicht dran vorbei.
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER geht es um Gewalt in der Familie und deren (langfristige) Folgen. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Gab es viele Vorgespräche mit Regisseur Florian Eichinger und/oder Experten?
Es gab im Vorfeld, aber auch während der Arbeit, immer wieder sehr intensive Gespräche mit Florian, der sich mit dem Thema ja schon länger beschäftigt, viel dazu gelesen und auch Gespräche mit Experten geführt hat. Man merkt aber schnell, auch wenn man wie ich über das Thema liest, dass die Folgen von Gewalt und in unserem speziellen Fall sexueller Gewalt so komplex und tiefgreifend sind, dass man dem gar nicht gerecht werden kann.
Markus ist in DIE HÄNDE MEINER MUTTER mit Monika (Jessica Schwarz) verheiratet, die Ehe der beiden wird durch Markus‘ Erinnerungen auf eine harte Probe gestellt. Wie war die Zusammenarbeit mit Jessica Schwarz sowie den anderen Darstellern?
Die Zusammenarbeit mit Jessica und den anderen Darstellern war super. Da hat keiner irgendwie sein eigenes Süppchen gekocht oder versucht, sich besonders zu profilieren. Es ging immer um die Sache. Wir haben uns gegenseitig geholfen und Tipps gegeben. Das war wirklich immer sehr konstruktiv und ich habe eine Menge gelernt. Überhaupt das ganze Team war toll! Alle haben an einem Strang gezogen und voll hinter dem Projekt gestanden.
FRAGEN AN JESSICA SCHWARZ
Sie spielen Monika, Markus‘ Ehefrau. Wie würden Sie Monika beschreiben?
Monika ist eine Frau, die weiß, was sie will. Sie steht mit beiden Beinen im Leben, liebt ihren Mann und ihren Sohn, findet ihren Job gut und ist in einer Familie verankert, in der alles in Ordnung zu sein scheint. Vielleicht hat sie bereits geahnt, dass es bei Markus früh Probleme gab. So ein Trauma lässt sich vielleicht irgendwie vergessen, aber im Unterbewusstsein bleibt man traumatisiert.
Monika empfindet eine große Mutterliebe für ihr Kind. Doch im Laufe des Films entstehen Ängste, ob diese Liebe vielleicht irgendwelche Ähnlichkeiten mit Markus‘ Mutter hat. Sie wird aus dem Bild, das sie von sich und ihrem Leben hatte, komplett herausgerissen und versucht trotzdem, stark damit umzugehen.
Große Themen, die das Leben ja wirklich zu etwas anderem machen, verändern auch Menschen grundlegend. Ein etwas oberflächlicher Mensch, wie Monika es womöglich war, weil sie Dinge nicht sehen wollte und erst einmal fast absurd reagiert, wenn sie davon erfährt, fängt an, sich zu verändern, beginnt ihre Stärken und Schwächen neu auszuloten.
Was hat Sie an der Rolle besonders gereizt?
Genau diese Figur, wie ich sie eben beschrieben habe. Wenn in einer Familie so etwas Unvorhersehbares passiert, beginnen starke Veränderungsprozesse. Diese Form der Auseinandersetzung mit sich und auch den Menschen, die man liebt, die einem so nahe sind, ist so intensiv und alles wird neu aufgerollt. Man selbst ist ja fast wie missbraucht. Sich darüber auszutauschen und Gedanken zu machen, was wohl in dieser Psyche vorgeht, ist so wahnsinnig interessant für Schauspieler. Ich habe das Drehbuch gelesen und wollte sofort dabei sein. Auch weil es ein Thema ist, das mir bisher ziemlich unbekannt war. Für mich war das ein völliges Aha-Erlebnis, als ich das Drehbuch zum ersten Mal las. Dass dieses Thema noch immer so tabuisiert ist, der Missbrauch von Müttern an Söhnen, zeigt, dass man darüber sprechen muss. Der Film geht sehr ernsthaft mit diesem Thema um.
Welche Schwierigkeiten gab es beim Dreh? Gab es eine Szene, die Ihnen besonders schwer fiel?
Oh ja. Andreas und ich hatten eine doch etwas längere und auch größere Diskussion und nicht nur Freude dabei, würde ich mal sagen… Es gibt diese Szene, in der Andreas den Brief an seine Eltern schreibt. Ich komme nachts dazu und er gibt ihn mir zum Lesen. Über diese Szene haben wir wahnsinnig lange diskutiert. Das war wirklich kein leichter Moment, aber ich glaube, wenn man sich das Ergebnis anschaut, hat sich die intensive Auseinandersetzung gelohnt.
Es gibt einfach manchmal Szenen, die man nicht exakt so, wie im Drehbuch geschrieben, spielen kann. In solchen Situationen muss man dann hinterfragen, warum zum Beispiel ein Mensch etwas Bestimmtes so tun wird und warum er sich so verhalten würde. Man bekommt ja nicht jeden Tag einen Brief, in dem steht „Meine Mutter hat mich missbraucht“. Wie reagiert man in so einer Situation, wie geht man damit um? Und das war eine relativ lange „Findungsnacht“. Aber es war toll. Und ich glaube, dass es uns für die restliche Drehzeit extrem viel gebracht hat.
Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Darstellern und dem Team?
Es ist ein unglaubliches Team gewesen, das da zusammen gekommen ist. Allen voran die Menschen hinter der Kamera, die auch sehr an das Projekt glauben und so viel Liebe und Zeit investieren. Und natürlich die Schauspielkollegen, wie Katrin, die die Mutter spielt, was wirklich kein Einfaches ist…
Da gibt es einige Szenen, die habe ich teilweise erst später im fertigen Film gesehen, da hat mich sehr beeindruckt, wie sie die umgesetzt hat. Es ist sehr bewundernswert, was Kollegen aus solchen Geschichten machen, die man sich, wenn man das Drehbuch liest, nur schwer vorstellen kann.
Es ist ein großes Geschenk mit so einem Ensemble spielen zu dürfen. Aber auch die Zusammenarbeit mit dem Regisseur war toll. Florian liebt seine Figuren und seine Rollen. Ich glaube, unser erstes Gespräch dauerte fast fünf Stunden. Wir haben uns komplett verloren in Raum und Zeit. Und so etwas ist natürlich toll, wenn man sich dann teilweise nur noch mit Blicken versteht und gar nicht viel sprechen muss.
FRAGEN AN KATRIN POLLITT
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER spielen Sie Markus‘ Mutter Renate. Wie würden Sie Renate beschreiben?
Renate in der Gegenwart ist wie versteinert. Die Ereignisse der Vergangenheit haben dazu geführt, dass sie sich in sich selbst zurückgezogen hat und Nähe nicht mehr zulässt. Früher war Renate anders. Die verkrüppelte Sehnsucht nach Nähe und Körperlichkeit fanden bei ihr ein unsägliches, schreckliches Ventil.
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER geht es um Gewalt in der Familie und deren (langfristige) Folgen. Sie übernehmen hier als Markus‘ Mutter Renate eine sehr wichtige und schwierige Rolle. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet? Gab es viele Vorgespräche mit Regisseur Florian Eichinger und/oder Experten?
Ein Jahr vor Drehbeginn stand fest, dass ich die Rolle spielen würde. Mit Florian Eichinger habe ich einige Gespräche geführt, mit meinem Coach Mike Bernardin an einigen Szenen gearbeitet und wir haben fast ein Jahr vor Drehbeginn einen Probedreh gemacht, wo wir nach Möglichkeiten gesucht haben, wie die Szenen, in denen der Missbrauch stattfindet, umgesetzt werden könnten.
Wie war die Zusammenarbeit mit Ihrem Film-Sohn Andreas Döhler, Ihrem Film-Ehemann Heiko Pinkowski sowie den anderen Darstellern?
Obwohl Andreas Döhler einen vollkommen anderen schauspielerischen Ansatz verfolgt als ich, fand ich nach einer kurzen Aufwärmphase die Zusammenarbeit mit ihm hervorragend. Andreas hat es sich an keiner Stelle leicht gemacht und ich fand es sehr bereichernd, mit einem so entschlossenen Kollegen zu arbeiten. Auch die anderen Kollegen waren von Florian und Marion Haack, der Casterin, mit so viel Feingefühl ausgesucht, dass die gesamte Arbeit ein echtes Vergnügen war.
FRAGEN AN HEIKO PINKOWSKI
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER spielen Sie Markus‘ Vater Gerhard. Wie würden Sie Gerhard beschreiben und was hat Sie an der Rolle besonders gereizt?
Ich hatte großen Respekt vor der Rolle, da Gerhard (alt) wesentlich älter ist, als ich selbst. Ich hatte aber keine Lust, mich beim Drehen auf das Spielen des Alters zu konzentrieren. Mich interessierte an der Rolle vor allem die Untersuchung, warum jemand wie Gerhard unfähig ist, das „Richtige“ zu tun – seinen Sohn zu schützen, und ihn da rauszuholen! Stattdessen ist er in seinen eigenen Mechanismen so gefangen, dass er in die Verdrängung und das Herunterspielen flieht.
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER geht es um Gewalt in der Familie und deren (langfristige) Folgen. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet? Gab es viele Vorgespräche mit Regisseur Florian Eichinger und/oder Experten?
Ich habe Florian fast ein Jahr vor dem Dreh getroffen, seitdem arbeitete das Thema in mir und ich habe zu Gerhard gearbeitet und einiges zu Gewalt/ Missbrauch in Familien gelesen. Kurz vor dem und natürlich auch während des Drehs gab es dann intensive Gespräche mit Florian, Andreas, Katrin und Jessica.
FRAGEN AN KATHARINA BEHRENS
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER spielen Sie Markus‘ Schwester Sabine. Wie würden Sie Sabine und das Verhältnis innerhalb der Familie beschreiben?
Sabine hat, denke ich, schon sehr früh Strategien entwickelt, um sich innerhalb der Familie und auch außerhalb zu schützen. Das Tragische ist ja, dass alles totgeschwiegen wird und dadurch das Problem quasi gar nicht existent ist. Die Beteiligten gucken sich in die Augen, wissen alles und leugnen gleichzeitig alles. Das ist schon sehr perfide. Diese Einigung darüber, das Ungeheuerliche einfach wegzuschieben und die Rollenverteilung von Opfer und Täter völlig außer Kraft zu setzen. Die Realität könnte auch bloße Phantasie sein.
Was hat Sie an der Rolle besonders gereizt?
Die Kraft, die Sabine hat, das hat mich sehr interessiert. Ihre Versöhnlichkeit, der unbedingte Wille ein gutes Leben zu führen.
Und dann natürlich grundsätzlich diese komische Sache, dass Blut dann doch dicker ist als Wasser. Man kommt scheinbar nie an seinen Eltern vorbei, bleibt immer Tochter oder Sohn.
In DIE HÄNDE MEINER MUTTER geht es um Gewalt in der Familie und deren (langfristige) Folgen. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet? Gab es viele Vorgespräche mit Regisseur Florian Eichinger und/oder Experten?
Florian und ich hatten intensive Gespräche, besonders auch mit allen Beteiligten einer Szene direkt vor dem Dreh derselben. Das hat sehr gut getan, dadurch wusste jeder immer ganz gut, wo der andere gerade ist und wo man selbst grad abgeholt wird. Florian arbeitet sehr konzentriert, aber wir waren uns sowieso ziemlich einig, worum es bei Sabine geht. Ansonsten sprach ich noch mit einer Kriminalpsychologin über dieses Thema und all seinen Facetten, was der ganzen Sache sicherlich dienlich war. Es schmerzt aber auch tatsächlich enorm, deswegen ist es gut einen gewissen Abstand zu dem Thema zu wahren, denn die Abgründe, in die man da schaut, sind wahnsinnig tief.
Als sexuelle Gewalt gegen Kinder wird in der Fachszene jede sexuelle Handlung definiert, die an Mädchen und Jungen gegen deren Willen vorgenommen wird oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können. Der Täter/die Täterin nutzt dabei seine/ihre Macht- und Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Die Handlungen, die als sexuelle Gewalt bezeichnet werden, weisen eine große Bandbreite auf. Das reicht von sexuellen Übergriffen mittels verbaler sexueller Anspielungen oder Hilfestellungen des Sportlehrers, der die Gelegenheit nutzt, einen Schüler im Genitalbereich zu berühren, bis zu strafbaren sexuellen Handlungen am Körper des Kindes (hands-on) wie zum Beispiel Zungenküsse oder Manipulationen der Genitalien. Schwere Formen sexueller Gewalt umfassen orale, vaginale und anale Penetrationen. Es gibt auch strafbare Missbrauchshandlungen, die den Körper des Kindes nicht einbeziehen (hands-off), zum Beispiel wenn jemand vor einem Kind masturbiert, sich exhibitioniert oder dem Kind gezielt pornografische Darstellungen zeigt oder es auffordert, sexuelle Handlungen an sich – evtl. auch vor der Webcam - vorzunehmen. Welche Spuren sexuelle Gewalt hinterlässt und wie schwer die Folgen sind, hängt von vielen Faktoren ab. Studien zeigen, dass die Folgen umso schwerer sind, je massiver/intensiver die Tat war, je häufiger sie geschehen ist, je länger der Zeitraum war, innerhalb dessen sie geschehen ist, je vertrauter der Täter/die Täterin dem Kind ist, je länger es mit der Erfahrung allein bleibt ohne Hilfe zu finden, je mehr an der Glaubwürdigkeit des Kindes gezweifelt wird und je weniger Trost und Zuwendung es erhält.
Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Die WHO geht von rund 18 Mio. Minderjährigen aus, die in Europa von sexueller Gewalt betroffen sind. Das sind auf Deutschland übertragen rund eine Million Mädchen und Jungen. Von etwa 13 Mio. Kindern und Jugendlichen insgesamt in Deutschland besuchen gut 8 Mio. eine allgemeinbildende Schule. Auf der Basis dieser Relation, müssen wir davon ausgehen, dass es ca. 600.000 betroffene Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen gibt, die sich auf ca. 400.000 Klassen verteilen. Bei einer durchschnittlichen Schülerzahl von 20 bedeutet dies, dass es in jeder Klasse mindestens ein bis zwei Kinder gibt, die von sexueller Gewalt betroffen sind. Dabei reicht das Spektrum sexueller Gewalt (von Erwachsenen gegen Mädchen und Jungen) von sexuellen Übergriffen wie anzüglicher sexualisierter Sprache über strafbare sexuelle Handlungen wie das Anfassen der Genitalien bis zu schwerem sexuellen Missbrauch durch orale, vaginale oder anale Penetration.
Hellfeld und Dunkelfeld:
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) verzeichnet für das Jahr 2015 in Deutschland rund 12.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, von denen rund 75% Mädchen und 25% Jungen betroffen sind, nicht einberechnet die Fälle von sexuellem Missbrauch von Jugendlichen und Schutzbefohlenen, Kinder- und Jugendpornografie und Cybergrooming. Doch das ist nur das Hellfeld. Das Dunkelfeld liegt weitaus höher. Dunkelfeldforschungen aus den vergangenen Jahren gehen davon aus, dass jede/r Achte bis Zwölfte in Deutschland als Mädchen oder Junge sexuelle Gewalt erlitten hat.
Kontext:
Sexuelle Gewalt findet am häufigsten innerhalb der engsten Familie statt (ca. 25%) sowie im sozialen Nahraum/weiteren Familien- und Bekanntenkreis, zum Beispiel auch durch Nachbarn, Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, die die Kinder und Jugendlichen gut kennen (ca. 50%). Fremdtäter (ca. 10% ohne Exhibitionismus, ca. 25% mit Exhibitionismus) sind eher die Ausnahme. Zunehmend finden sexuelle Übergriffe mittels digitaler Medien statt – in diesem Kontext nimmt die Zahl erwachsener Fremdtäter/innen sicher zu (Stichwort: Cybergrooming), es gibt aber häufig auch Übergriffe durch andere Mädchen und Jungen. Durch intensiven und oft sehr persönlichen Chatverkehr kann bei den Kindern und Jugendlichen subjektiv der Eindruck entstehen, dass es gar keine Fremden mehr sind, mit denen sie in Kontakt stehen.
Täterinnen:
Expertinnen und Experten gehen von rund 80% bis 90% Tätern und rund 10% bis 20% Täterinnen aus. Über missbrauchende Frauen wurde in Deutschland bislang wenig geforscht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sexueller Missbrauch durch Täterinnen seltener entdeckt wird, weil solche Taten Frauen und insbesondere Müttern noch immer kaum zugetraut werden. Frauen sind eher Einzeltäterinnen, missbrauchen aber auch zusammen mit einem männlichen Partner beziehungsweise unter dessen Einfluss. Sowohl Täterinnen als auch Täter missbrauchen sowohl Mädchen als auch Jungen. Der PKS für das Jahr 2015 ist zu entnehmen, dass ca. 5% des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§§ 176, 176a, 176b StGB) von weiblichen Tatverdächtigen begangen wurde. Die Statistik enthält darüber hinaus auch diesbezügliche Zahlen für andere Straftatbestände: Bei sexuellem Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB) liegt der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen bei ca. 2%, bei sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) bei ca. 5%, bei Besitz/Verschaffung von
Kinderpornografie bei ca. 6%, bei deren Verbreitung bei ca. 10% und bei Besitz/Verschaffung von Jugendpornografie bei ca. 14% sowie bei deren Verbreitung bei ca. 24%.
Hilfetelefon Missbrauch: 0800 – 22 55 530
www.hilfetelefon-missbrauch.de
Das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch ist die bundesweite, kostenfreie und anonyme Anlaufstelle für Betroffene von sexueller Gewalt, für Angehörige sowie Personen aus dem sozialen Umfeld von Kindern und Jugendlichen, für Fachkräfte und für alle Interessierten. Es ist eine Anlaufstelle für Menschen, die Entlastung, Beratung und Unterstützung suchen, die sich um ein Kind sorgen, die einen Verdacht oder ein „komisches Gefühl“ haben, die unsicher sind und Fragen zum Thema stellen möchten. Das Hilfetelefon vermittelt Schutz, Beratung, Akutversorgung, therapeutische Hilfen und alltagspraktische Entlastung.
Das Hilfeportal Sexueller Missbrauch ist das zentrale Bundesportal für Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuelle Gewalt erlitten haben, für Angehörige sowie Personen aus dem sozialen Umfeld von Betroffenen und Fachkräfte. Auf dem Hilfeportal finden Betroffene und Angehörige Kontakte von Beratungsstellen und Therapieangeboten direkt in ihrer Nähe. Sie erhalten aber auch Informationenaus dem juristischen Bereich, zum Beispiel, was in einem Strafverfahren passiert und wie Expertinnen und Experten dabei begleiten und unterstützen können.
www.hilfeportal-missbrauch.de
Hilfetelefon und Hilfeportal sind ein Angebot des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
Deutschsprachige Literaturempfehlungen zum Thema „Täterinnen“
Weitere Informationen
www.beauftragter-missbrauch.de
Twitter: ubskm_de
www.aufarbeitungskommission.de
Twitter: ukask_de
www.kein-raum-fuer-missbrauch.de
www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de
www.hilfeportal-missbrauch.de
Dr. med. Terje Neraal, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychosomatische Medizin, Psychoanalytiker und Familientherapeut
Welche sind die Bedingungen dafür, dass die Tabugrenze von Seiten der Mutter fallen gelassen wird und es zu sexuellen Übergriffen am eigenen Kind kommt?
Oft stellt eine unbefriedigende Sexualität in der Partnerschaft ein Motiv dar, das Kind für die frustrierten Bedürfnisse zu benutzen. Z.B. Männer, die sich ohne Feingefühl für die Bedürfnisse der Frau schnelle sexuelle Befriedigung suchen und bisweilen auch übergriffig verschaffen, können bei der Frau eine Abscheu vor dieser Art von Erwachsenen-Sexualität auslösen. Das kann dazu führen, dass eine durch Zärtlichkeit geprägte Sexualität mit dem (Klein-)Kind eingeleitet und praktiziert wird. Statt sich als Opfer einer nicht wertschätzenden, groben Erwachsenen-Sexualität zu erleben, kann es in solchen Fällen für die Mutter verführerisch sein, ihre Sexualität buchstäblich selbst – mit Hilfe des Kindes – aktiv in „ihre Hände zu nehmen“.
Aber nicht nur gestörte Partnerbeziehungen bilden den Hintergrund und die Ursache für solche Übergriffe an Kindern.
In den meisten Fällen von Übergriffen der Mütter an den eigenen Kindern wiederholen sich selbst erlittene, oft verdrängte Grenzüberschreitungen der Mütter aus der eigenen Kindheit. Bei solchen familiären Wiederholungen resultiert aus den unbearbeiteten, erlittenen Grenzüberschreitungen die Unfähigkeit, seelische und körperliche Grenzen der Kinder zu respektieren. Diese werden wiederholt – nun nicht mehr als passive Opfer, sondern in der Rolle der aktiven Täter oder Täterinnen.
In dem Film DIE HÄNDE MEINER MUTTER folgen wir einem Betroffenen in seine Vergangenheit und in die Verstrickungen seiner ganzen Familie. Das Missbrauchsopfer kommt als erwachsener Mann und Vater eines Kindes auf die Spur seiner Kindheitserlebnisse mit der eigenen Mutter. In gewissem Sinne wie eine Art moderner Ödipus, konfrontiert er seine Familienangehörigen in dem schmerzhaften Prozess das Geschehene aufzuklären – und sich von den posttraumatischen Belastungsstörungen zu befreien.
Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs:
Die Hände meiner Mutter zeigt ohne jeden Voyeurismus eindrücklich und bewegend, was es heißt, als Junge von der eigenen Mutter sexuell missbraucht zu werden. Dass auch Frauen Täterinnen sein können, ist eines der größten gesellschaftlichen Tabus. Der Film zeigt, wie sexueller Missbrauch über Jahre und Jahrzehnte hinweg verdrängt werden - und mit welcher Wucht er plötzlich erinnert und erneut ins eigene Leben eingreifen kann. Der Film lässt auch hinter ein zweites Tabu blicken. Er zeigt, wie Missbrauch innerhalb einer Familie über Generationen hinweg verschwiegen und fortgesetzt stattfinden kann und wie tief sich das kollektive Schweigen der Täter und Täterinnen, Opfer und Mitwissenden in die Struktur einer Familie einbrennen kann. Es ist die Stärke des Films, dass er nicht skandalisiert, sondern nach Wegen der Auseinandersetzung und des Umgangs mit dem Thema sucht.“
(Rörig wurde im Dezember 2011 zum Unabhängigen Beauftragten ernannt. Seine Schwerpunktthemen sind verbesserte Hilfen für Betroffene sowie verbesserte Prävention, aktuell vor allem in Schulen, weil dort alle Mädchen und Jungen erreicht werden können – auch die vielen Kinder und Jugendlichen, die Missbrauch in der Familie erleiden. Informationen unter , www.beauftragter-missbrauch.de und www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de)
Prof. Sabine Andresen, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, Erziehungswissenschaftlerin Goethe Universität Frankfurt/M.:
„Der Film hilft zu verstehen, was Mädchen und Jungen durch sexuellen Missbrauch in der Familie an Leid zugefügt wird. Mütter, die Täterinnen sind, stellen ein besonderes Tabu dar. Da Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs am häufigsten im familiären Umfeld vorkommen, bildet deren Aufarbeitung einen Schwerpunkt innerhalb der Arbeit der Kommission. Im Januar 2017 werden wir zu Missbrauch in der Familie eine öffentliche Anhörung durchführen. Aufklärung und Aufarbeitung sind unverzichtbar. Aufarbeitung beginnt mit dem Verstehen. Ich hoffe, dass durch diesen Film viele Menschen dafür sensibilisiert werden, welche Dimension und welches Ausmaß sexuelle Gewalt in der Kindheit hat. Die Hände meiner Mutter hilft, die Gesellschaft zu sensibilisieren. Ich wünsche dem Film ein breites Publikum!“
(Die Kommission wurde im Januar 2016 vom Unabhängigen Beauftragten berufen. Sie ist international die erste Kommission, die Missbrauch nicht nur in Institutionen sondern auch in der Familie untersucht. Das erste öffentliche Hearing der Kommission findet am 31.01.2017 in Berlin statt und widmet sich dem Thema „Missbrauch in der Familie“. Informationen unter www.aufarbeitungskommission.de)
Ab der Startwoche erfahren Sie hier stets aktuell,
in welchen Kinos DIE HÄNDE MEINER MUTTER zu sehen ist.
Zum Kinofinder
Mit dem Alarm-Dienst von kino-zeit.de werden Sie DIE HÄNDE MEINER MUTTER nicht verpassen.
Einfach die gewünschte Postleitzahl eingeben und Sie erhalten einmalig eine Mail,
sobald DIE HÄNDE MEINER MUTTER in Ihrer Gegend anläuft
Zum Filmwecker
Auszug der Jurybegründung, Filmfest München
Florian Eichingers dritter Spielfilm DIE HÄNDE MEINER MUTTER ist nach BERGFEST und NORDSTRAND der letzte Teil einer filmischen Trilogie über die Verstrickungen von Familiengewalt. Eichinger ist eine emotionale, packende und bewegende Trilogie gelungen, die für starkes, innovatives deutsches Kino steht.
kino-zeit.de
In Anwesenheit von Regisseur Florian Eichinger und Jessica Schwarz
In Anwesenheit von Regisseur Florian Eichinger, Jessica Schwarz und Katharina Behrens
In Anwesenheit von Regisseur Florian Eichinger, Jessica Schwarz, Katrin Pollitt, Heiko Pinkowski und Katharina Behrens
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger und Hauptdarsteller Andreas Döhler
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger und Hauptdarsteller Andreas Döhler
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger und Hauptdarsteller Andreas Döhler und Dr. Christine Bergmann und Brigitte Tilmann von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger
in Anwesenheit von
Regisseur Florian Eichinger